Als er 2014 die Diagnose Blutkrebs (Haarzellleukämie) bekam, stand er vor einer weiteren Herausforderung. Mit Hilfe einer Chemotherapie konnte diese schwere Erkrankungsphase glücklicherweise überwunden werden. Für Ludwig waren diese Lebenserfahrungen der Schlüssel, um aus jedem Ereignis etwas Positives für die Zukunft zu ziehen und beflügelten ihn dazu, seine Ziele zu verfolgen und Ideen zu verwirklichen.
Mein Name ist Ludwig Lübbers, ich bin 52 Jahre alt, komme gebürtig aus dem Landkreis Grafschaft Bentheim und bin von meiner Geburt an mit einer Behinderung aufgewachsen. Ich verfüge über keine Hände und trage links eine Oberschenkel-Beinprothese. Es gab zwei Städte, in denen ich studieren konnte: Entweder Osnabrück oder Münster, das waren die beiden nächsten Städte von meinem Elternhaus entfernt. Und dann habe ich Münster gewählt, da ich dort als Kind auch mit einer Beinprothese orthopädische versorgt wurde. Zum Glück konnte ich auch in Münster bleiben und arbeite dort jetzt als Gymnasiallehrer für die Fächer Mathematik und Sozialwissenschaften. Damals habe ich hier in Münster ein Internetprojekt initiiert, das hieß „Handicap im Internet“. Da gab es 100.000 Mark von der europäischen Union für das Projekt, das habe ich selbst initiiert. 1999 bis 2001 war das Internet noch in den Kinderschuhen, da habe ich schon angefangen Social Media zu betreiben. Ich hatte die Idee, Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen, wenn ein Hilfebedarf besteht. Wenn ich zum Beispiel jemanden brauche, der vielleicht meinen Kleiderschrank aufräumt, war meine Idee, Hilfsmärkte auf lokaler Ebene zu gründen, um sich darüber auszutauschen. Wir hatten dann eine online Kartei von Personen, so ähnlich wie Facebook, ich bin nur leider nicht Millionär dadurch geworden. Schade war, dass die Gelder von der europäischen Union für diese Projekt nach 2 Jahren nicht weiter verlängert worden sind und das war dann das finanzielle Aus, aber für damals war das schon sehr fortschrittlich.
Mein beruflicher Alltag hat sich jetzt in Corona-Zeiten auch ein bisschen gewandelt. Vor 7 Jahren bin ich an Leukämie erkrankt und gehöre daher jetzt auch zur Risiko-Gruppe. Das hat gerade in diesen intensiven Corona-Jahren viele Folgen gehabt, zum Beispiel, dass ich 1,5 Jahre nur im Distanz-Unterricht war.
Ansonsten ist mein beruflicher Alltag wie folgt: Ich fahre mit meinem Auto zur Schule, das Auto ist speziell für mich umgebaut. Die Umbauten wurden von der Behörde auch bezahlt. Und damit erreiche ich meinen Arbeitsplatz. Dann habe ich in der Schule eine spezielle Tafel, ein interaktives Whiteboard, über einen kleinen Computer-Monitor am Pult kann ich dann schreiben. Ich erkläre aber auch meine Schüler gerne zu Schreib-Assistenten. Meine Schüler sollen merken, dass wir nur als Team gut funktionieren können. Damit sehen sie, dass wir Schwächen ausgleichen können, und Schüler machen das auch ganz gerne, witziger Weise.
Als ich jünger war, war ich sehr sportlich und habe viele Sportarten gemacht: Ich habe Volleyball, Fußball, Basketball und Tischtennis gespielt. Dann hatte ich aber eine Knieverletzung. Dadurch, dass ich nur ein Knie habe, hat sich mein Leben gedreht und da wurde mir zum ersten Mal klar, dass das Leben auch mal ganz anders laufen kann. Man merkt dann, dass es nicht mehr so geht, wie man gerne möchte. Das war dann zu Beginn sehr hart, weil ich mit meiner Volleyball Truppe immer zusammen war und auf einmal gemerkt habe, ich kann nicht mehr mitmachen und bin dann dort ausgeschieden. Ich habe dann auch soziale Kontakte verloren. Das war dann sehr bitter, aber dann muss man auch gucken, was man wieder Neues machen kann. Was ich immer gerne gemacht habe, war Schwimmen, ich schwimme meistens so 1000 Meter am Stück. Aber mit einer kleinen Flosse am Bein als kleines Hilfsmittel im Wasser. Und ich habe dann auch den Tauchsport für mich entdeckt. Vor 20 Jahren habe ich den Tauchschein gemacht, den ersten hier in Deutschland, den zweiten in Sardinien. Ich bin jetzt auch Sardinien-Fan geworden. Als Student bin ich schon häufiger da gewesen mit einem Mathematik-Seminar und hatte so meine ersten Kontakte dort. Und ich habe dort meine Seele verloren und hatte auch damals schon den Drang, mal eine längere Zeit dort zu verbringen.
Ein weiteres Hobby ist auch das Fahrradfahren. Ich habe das Fahrradfahren für mich neu entdeckt. Damals als ich noch jünger war, bin ich ohne Motor Fahrrad gefahren, jetzt habe ich ein Fahrrad mit Hilfsmotor, diese Pedelecs. Und da habe ich jetzt ein eigenes Stützradsystem entwickelt, damit ich wieder vernünftig hier in Münster Fahrrad fahren kann. Münster ist eine Fahrrad-Stadt, da muss man einfach Fahrrad fahren können. Aber ich fahre immer nur bei schönem Wetter, denn bei Regenwetter muss man sich ja schützen und meine elektronische Beinprothese darf nicht nass werden. Dann müsste ich wieder Regensachen anziehen, was ich allein nicht kann, daher bin ich einfach nur ein Schön-Wetter-Fahrer.
Das Buch hat eine Entstehungsgeschichte, die schon 20 Jahre her ist. Ich habe im Jahre 2001 den Mut gefasst, an dem Campingplatz L’Ultima Spiaggia in Sardinien längere Zeit zu verbleiben. Das war mein Drang und ich habe dort in der Vergangenheit am Strand ein paar sehr schöne Situationen erlebt, die ich jetzt aber nicht erzählen möchte, denn dann nehme ich den Lesern das ganze Buch schon vorweg. Aber es gab eine Situation, die mir besonders das Gefühl gegeben hat „Du musst an diesem Ort mal längere Zeit bleiben“. Und dann, im Jahre 2000 nach meinem Referendariat, habe ich eine sogenannte „Geld statt Stellen“-Stelle an einem Berufsschul-Kolleg gehabt, die zeitlich für ein Jahr begrenzt war. Und die wurde dann nicht verlängert. Und dann war das für mich die Gelegenheit, mir zu sagen „jetzt hast du das alles gemacht, du hast die beruflichen Erwartungen deiner Eltern erfüllt. Und jetzt musst du mal was für dich machen“. Und dann habe ich damals 5.000 Mark in der Tasche gehabt und bin einfach mit dem Auto nach Sardinien runtergefahren, mit einem kleinen Zelt dabei und habe mal geschaut, wie ich da unten so klarkomme. Und ich hatte ja schon ein paar Kontakte aufgrund meiner damaligen Studenten-Reisen. Dann bin ich einfach da runtergefahren und wollte wissen, wie das funktioniert. Ich war damals sehr mutig und habe mich in die Hände von fremden Menschen begeben und wusste vorher nicht, ob es funktionieren wird. Die Reise wurde jedoch zum Erfolg. Insgesamt habe ich dort 3 Monate gelebt, die Leute haben mir geholfen, wo sie konnten. Manchmal mehr als notwendig, es gab nie große Probleme. Ich war auch gut organisiert, hatte Ersatzteile für mein Auto und die Beinprothese dabei, denn ich wollte Reserven haben. Jedoch gab es nie große Probleme. Ich konnte selbst nicht kochen, ich konnte selbst das Zelt nicht aufbauen. Ich brauchte Hilfe am Strand, da mussten meine Badesachen wieder in den Rucksack gepackt werden, dann musste die Stranddecke ausgepackt werden. Vor allem im Juli-August, in der Hauptsaison, waren so viele Menschen auf dem Campingplatz, es gab keine Probleme. Dann wurde ich zum Essen eingeladen und habe als Gegenleistung eine Flasche Wein mitgebracht. Wir hatten alle gemeinsam viel Spaß. Aus heutiger Sicht würde man sagen, das war ein wirklich gelungenes Inklusions-Projekt. Menschen haben gesehen, dass wir gemeinsam sehr viel erreichen können und, dass Menschen mit Behinderung auch Positives bewirken können.
Ich habe dort zum Beispiel folgende Situation erlebt: Es gab einen älteren Herren am Strand, der hat mir immer aufgelauert und wenn ich Hilfe gebraucht habe, war er immer da. Ich konnte mich dem gar nicht entbehren. Man hat dadurch auch viele Freundschaften geschlossen. Zu dieser Zeit haben mich die ganzen Gäste auf dem Campingplatz – die waren auch teilweise vom Festland oder von der Insel – alle eingeladen, sie besuchen zu kommen. Und nachdem der Campingplatz am 30.9. zu hatte, bin ich dann noch eine Woche über Sardinien gefahren und habe meine ganzen Freunde besucht. Ich konnte überall umsonst übernachten und habe Essen bekommen, ich brauchte nirgends etwas zahlen und konnte somit einen Großteil der Insel kennen lernen. Und dann haben mich auch Leute vom Festland eingeladen. Daraufhin war ich drei Wochen in Rom, eine Woche in Perugia und noch eine Woche in Turin.
Das war eine Riesenreise, ich war insgesamt glaube ich viereinhalb Monate unterwegs und habe in der Zeit noch einen zweiten Tauchschein gemacht. Ich habe damals schon für mein Projekt eine Digitalkamera dabeigehabt. Im Jahre 2001 war das noch etwas Exotisches. Damit habe ich mein Projekt dokumentiert und der Manager vom Campingplatz hat gesehen, dass ich viele Fotos gemacht habe. Ende August sprach er mich an, ob er nicht die Fotos haben könnte, dann bräuchte ich für den Campingplatz nichts zahlen. Und dann habe ich die ganzen 3 Monate umsonst auf diesem Campingplatz gewohnt, nur, weil ich ihm die Fotos gegeben habe und habe dann wiederum von dem Geld den zweiten Tauschein in Sardinien gemacht. Das war alles so einfach. Das ist immer noch ein sehr außergewöhnliches Erlebnis, das mich bis heute verfolgt und mir auch die Kraft gibt, meine Probleme von heute zu lösen.
Ludwig Lübbers hat ein Buch geschrieben: L'Ultima Spiaggia - Meine letzte Hoffnung
Im Jahre 2015 habe ich dann die Diagnose Haarzellleukämie bekommen. Das Buch, über das wir sprachen, hat zwei Handlungsstränge. Es ist einmal die Geschichte von Sardinien, als ich die 4 Monate unterwegs war. Und die Geschichte von der Leukämie-Erkrankung, wo ich plötzlich mit etwas ganz Neuem konfrontiert wurde, nämlich mit der Situation, vielleicht sterben zu können. Wenn ich nichts unternommen hätte, dann wäre ich irgendwann tot gewesen. Ich hatte eine sogenannte Haarzellleukämie, das ist eine schleichende Verschlechterung des Blutbildes über einen längeren Zeitraum, zwischen 1 und 3 Jahren. Da muss man immer eine Chemo-Therapie machen. Das war für mich etwas völlig Neues, etwas Unbekanntes. Und da habe ich auch ein unwohles Gefühl dabeigehabt.
Dann habe ich aber wieder Glück gehabt. Ich habe gegoogelt, ob es nicht irgendwelche Selbsthilfegruppen gibt, die sich mit der Erkrankung gut auskennen. Und dann bin ich auf den „Haarzell-Leukämie-Hilfe e.V.“ gestoßen. Darüber habe ich eine Frau kennengelernt und habe darüber eine Menge wertvoller Informationen bekommen. Hier war das Problem für mich, dass ich den Armen schlechte Arterien habe, worüber man ja Infusionen gibt oder Blut abnimmt. Und dann wurde mir hier in der Klinik in Münster geraten, einen sogenannten Port zu legen. Das heißt, man bekommt auf dem Oberkörper vorne auf der Brust in der Nähe vom Herzen einen Zugang zu einer Arterie. Der wird dann fest verlegt. Und ich hatte damals schon die Bedenken gehabt, was ist denn, wenn der Port mich da irgendwie stört in meiner Greiffunktion. Ich benutze meine beiden Armstümpfe als Greiffunktion, wenn ich die Arme zusammen mache. Und ich hatte dann wirklich Angst, dass etwas mit dem Port schiefläuft und ich dann meine Greiffunktion nicht mehr so hätte und ich darüber vielleicht ein Grad meiner Selbstbestimmung verlieren würde. Das habe ich lange abgewogen, denn ich wollte auf keinen Fall einen Grad meiner Selbstbestimmung verlieren, da wollte ich lieber sterben.
Die Frau vom Haarzellleukämie Hilfe e.V. hat mir dann ein paar wertvolle Tipps gegeben, die ich vorher noch nicht kannte. Nämlich, dass man die Chemo-Therapie bei der Haarzellleukämie auch subkutan machen kann, also über die Bauchdecke und brauchte dann keinen Arterien-Zugang dafür. Man brauchte ihn aber dennoch für Blutkontrollen oder wenn irgendwas bei der Chemotherapie schieflaufen würde. Man ist der Gefahr einer Infektion ausgesetzt. Das ist dann glücklicherweise aber gut verlaufen. Nachdem man das subkutan machen konnte, wollte ich mir keinen Port legen lassen.
Leider gab es dann doch ein paar Komplikationen. Ich wurde dann doch ins Krankenhaus gebracht, weil ich Fieber bekommen hatte. Ich hatte mit dem Arzt vereinbart, dass man im Notfall bei mir an die Halsvene ran geht. Das haben die dann auch gemacht. Hat auch funktioniert, bis auf einmal. Aber da möchte ich nichts vorweggreifen. Die Geschichte kann man in meinem Buch lesen. War sehr dramatisch, aber ich bin in diesen schwierigen Zeiten immer im Kopf nach Sardinien geflogen und habe mich an diese Reise erinnert, das hat mir die Kraft gegeben.
Die Leukämie hat mir im Nachhinein gezeigt, es gibt auch etwas Positives: Lebe dein Leben! Genieße dein Leben! Genieße jeden Tag und denke ein bisschen grundsätzlicher über die Dinge, die du tust und wofür du dich einsetzt. Und das hat mein Leben dann ein bisschen verändert. Im Nachhinein war sogar der Haarzellleukämie Hilfe e.V. ein Glücksfall für mich. Heute bin ich dort Mitglied im Vorstand als Beisitzer und mache für die jetzt ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit. Und da hat mir Corona witzigerweise auch wieder in die Hände gespielt. Ich war 1,5 Jahre zu Hause und musste Distanzunterricht machen und hatte dementsprechend viel Zeit zu Hause. Als Risikopatient bin ich nicht viel raus gegangen und habe versucht, mich ein bisschen zu isolieren. Dann habe ich das Buch endlich fertig gemacht, weil ich endlich Zeit dafür hatte. Das Projekt lag eigentlich schon seit 20 Jahren herum. Dann konnte ich auch die Homepage für mein Stützradsystem bauen.
Ich bin ziemlich stolz darauf, dass ich ohne Hände diese Homepage komplett selber gemacht habe. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich mit der IT groß geworden bin. Ich habe schon in der Vergangenheit ein Internetprojekt mit eigener Homepage gemacht und habe da die Hilfe von jemand anderes bekommen. Somit verfügte ich in der damaligen Zeit schon über gute Kontakte. Und in der Schule war ich auch über 10 Jahre der IT-Administrator. Wir sind vor 16-17 Jahren umgezogen in ein neues Gebäude und ich habe die ganze IT mit aufgebaut. Und daher habe ich mit der IT schon immer Kontakt gehabt. Und schließlich habe ich mir dann gedacht, nun auch mein Stützradprojekt ein bisschen transparenter zu machen und dafür eine eigene Homepage zu bauen. Und das habe ich auch während dieser Corona-Zeit gemacht, weil ich ja so viel Zeit plötzlich hatte. Und dann konnte ich dieses Projekt wieder umsetzen. Wieder habe ich aus der Krise etwas Positives gezogen. Ich musste schließlich irgendetwas zu tun haben und wollt nicht nur fernsehen.
Dieses Stützrad-Projekt hing mir ja schon immer am Herzen und seit 6 Wochen habe ich nun auch ein Patent darauf. Ich bin also jetzt Patent-Inhaber. Ob ich damit jemals Geld verdienen werde, weiß ich nicht. Aber es fühlt sich zumindest gut an. Ich versuche auch diesem Stigma von Menschen mit Behinderung entgegenzuwirken. Menschen mit Behinderungen sind nicht immer nur diejenigen, die hilfebedürftig sind. Ich brauche zwar viel Hilfe in vielen Bereichen, aber ich kann auch in vielen Bereichen viel geben. Solange da immer ein gesundes Gleichgewicht herrscht, fühlt man sich noch wohl. Es gibt im IT-Bereich häufig Fragen von Leuten, meine Schwester ruft mich immer an bei Problemen oder Homepage-Fragen.
Und das Projekt Pedelec für Handicap und auch das Patent ist für mich eine Sache, um Leuten zu zeigen, dass ich etwas erfunden habe, an dem ich 5 Jahre entwickelt habe. Ich verfüge also über eine richtige Praxiserfahrung. Ich habe das selbst immer getestet und bin der Einzige, der über dieses Erfahrungs-Knowhow verfügt. Und dieses Knowhow möchte ich jetzt jemandem aus der Fahrrad-Industrie anbieten, um dies voranzubringen und vielleicht irgendwann auch ein bisschen Geld damit zu verdienen. Ich habe ja keine Familie und diese Projekte sind wie meine Kinder: Mein Buch ist mein Kind, mein Stützradsystem ist mein Kind.
Ludwig Lübbers hat eine eigene Homepage gegründet: Pedelec for Handicap
Man muss immer zwei Dinge unterscheiden. Man muss unterscheiden, ob Menschen mit einer Behinderung aufgewachsen sind und ein Bein oder Hände weniger haben oder ob dies durch eine Erkrankung passiert ist. Das sind immer zwei verschiedenen Ebenen. Denn jemand, der damit aufgewachsen ist, geht damit ganz anders um, als wenn er jetzt mit einer neuen Lebenssituation wie ich z.B. mit dieser Leukämie arrangieren muss.
Aber ein Tipp, den ich immer geben kann, ist wie folgt: Tauscht euch aus mit anderen Patienten! Da kriegt man die wertvollsten Tipps! Bei mir war das beim Thema Autoumbau so. Als ich so 16/17 Jahre alt war, kam jemand zu meiner Mutter gefahren, der hatte auch kürzere Arme und der hat mir gezeigt, wie er Auto fährt und mir auch einige Firmen genannt, die mir den Auto-Umbau machen können. Und ich glaube einfach, dass dieser Erfahrungsaustausch das A&O ist. Und der müsste eigentlich noch viel mehr forciert werden. Gerade auch bei Medizinprodukten, die ja auch sehr hochpreisig sind.
Ich persönlich werde momentan auch damit konfrontiert. Ich habe momentan Stress mit meinem Prothesen-Hersteller. Ich weiß momentan nicht, wie lange ich noch laufen kann. Ich habe an meiner Prothese schon zwei Mängel aufgedeckt. Und der eine Mangel hat dazu geführt, dass ich schon zweimal gestürzt bin und mir zweimal das Schlüsselbein gebrochen habe. Ich kann den Namen der Firma jetzt hier nicht nennen, denn die Gefahr ist groß, dass mich die Firma verklagen könnte.
Aber ich schreibe auch Kolumnen zum Thema Inklusion. Und da tauchen solche Themen häufig auf, nicht nur Thema Beinprothese, wo ich einen historischen Überblick über die Entwicklung von Beinprothesen gegeben habe, und auch die aktuellen Probleme benenne. Ich finde das nämlich schade, wenn man zu einem Sanitätshaus kommt, da sind ja auch viele andere Patienten mit ähnlichen Problemen. Aber aus datenschutztechnischen Gründen darf das Sanitätshaus nicht die Daten weitergeben. Und ich finde, es müsste im Sanitätshaus eigentlich die Regelung geben, dass Patienten selbst entscheiden dürfen, ob die Daten weitergegeben dürfen, um da einen Austausch zu ermöglichen. Dann würden die Probleme auch viel schneller benannt werden können und man hätte ein viel größeres Druckmittel. Aber da spreche ich jetzt als Sozialwissenschaftler. Da müsste man die Politik auch nochmal fragen, ob es nicht da andere Möglichkeiten gibt. Man muss traurigerweise sagen, wenn sich mein Fall als Wahrheit herausstellen sollte – warum sollte ich allein das Problem haben? – denn dann könnte sich das Ganze auch sehr schnell zu einem Medizinskandal entwickeln. Da ist schade, dass man da nicht diesen Austausch hat. Patienten brauchen viel Austausch, vor allem über Vereine, die bringen einen voran.
Mir geht es heute ganz gut. Na klar, ich leide auf der einen Seite unter den Folgeschäden meiner Behinderung. Das ist einfach so. Gerade wenn man älter wird und Verschlechterungen stattfinden. Wenn bei mir irgendwas ausfällt, ein Organ oder ein Fuß, hat das ganz andere Konsequenzen als bei jemandem, der noch beide Beine und Hände hat. Wenn mein rechtes Bein nicht mehr funktioniert, kann ich nicht mehr gehen. Das machte einem aber auch immer mehr bewusst, das zu leben, was man gerne will.
Und nun zu meinen Zielen und Wünschen: Ich versuche natürlich in der Schule, meinen Schülern etwas beizubringen, dass Behinderung mit etwas Positivem belegt werden kann, denn meine Schüler sehen, ich fahre manchmal mit dem Fahrrad zur Schule, ich fahre manchmal mit dem Auto zur Schule. Die Leute sehen, dass ich mit Hilfe dieser Umbauten alles machen kann. Meine Schüler sehen, dass ich tauchen kann. Die kriegen immer meine Videos vom Tauchen gezeigt. Ich versuche auch Themen in der Schule zu platzieren, wie beispielsweise das Thema Triage, wo Menschen mit Behinderung ja benachteiligt werden. Ich sage meinen Schülern, jeder von ihnen ist unzähligen Lebensrisiken ausgesetzt. Keiner von ihnen weiß, ob er morgen ein Bein verlieren wird. Keiner weiß, ob er einen Unfall hat oder krank wird. Und an der Stelle kann man sehr viel bewirken und erreicht sogenannte Multiplikatoreffekte.
Und das mache ich ja auch mit meinen Kolumnen, da ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Seit einem dreiviertel Jahr bin ich auch politisch etwas aktiv geworden. Ich arbeite jetzt in der Kommission zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen der Stadt Münster und bin dort der gewählte stellvertretende Sprecher der AG5, da geht’s um Themen wie Stadtplanung und Verkehrsentwicklung.
Und ich wünsche mir auch etwas beim Thema Reiseassistenz: Ich bin vor 20 Jahren allein nach Sardinien gefahren, das kann ich heute nicht mehr. Aber ich bin jetzt seit 2 Jahren stolzer Besitzer eines Wohnwagens in Sardinien. Ich finde das toll! Welcher Mensch mit Behinderung kann schon sagen, dass er einen Wohnwagen in Sardinien besitzt? Seit 10 Jahren reise ich immer mit Reiseassistenz. Also ich engagiere Reiseassistenten für meine Reisen. Und der Deal ist dann immer, dass die Betreuung alles frei hat, also sie zahlt quasi nichts. Denn ich sage auch den Leuten, dass ich noch kein 24h Pflegefall bin. Ich sage den Leuten auch immer, dass es mir ganz wichtig ist, dass diese sich auch allein beschäftigen können: „Ihr müsst auch mal für 1-2 Tage was Eigenes machen“. Es kann mal passieren, dass ich mal Freunde in Sardinien besuche und dann alleine mal 2 Tage unterwegs bin. Mein Glück ist derzeit, dass ich noch so fit bin, dass ich diese Selbstständigkeit noch habe. Aber die kleinen Dinge des Lebens machen es notwendig, eine Assistenz zu haben. Ich lebe in Sardinien sehr einfach und brauche kaum Hilfe, und erlebe Sardinien auf einem einfachen Weg. Die Hauptarbeit meiner Assistentin ist es dann, mir beim Umkleiden am Strand zu helfen, Badehose umziehen, Kochen und so weiter. Ich robbe dann über den Sand bis zur Liege und bin dann ja voll mit Sand und dieser Sand muss ja irgendwie weg. Und das kriege ich alleine nicht hin und da kann ich auch keine fremden Leute fragen, sondern muss dann eine Begleitung haben. Das ist mein Hauptproblem geworden. Alles andere ist „easy going“, wenn man sich gut versteht.
Ludwig Lübbers hat bereits viele Erfahrungen mit Reise-Assistenzen gesammelt.
Nach 10 Jahre Reiseassistenz sammelt man ja auch Erfahrungen. Ich habe auf meiner Homepage im Rahmen meines Pedelec für Handicap Projekts eine Unterseite erstellt zum Thema Reiseassistenz. Es ist wichtig, dass die Chemie passt. Ich habe ungefähr 7/8 Personen bis jetzt gehabt. Und dabei war eine Person, die war spitze! Sowas habe ich noch nie erlebt. Das war eine polnische Krankenschwester und wir haben echt Spaß gehabt ohne Ende. Und sie sagte nach dem Urlaub folgendes zu mir: „Ludwig mit dir in den Urlaub zu fahren, das war wie Urlaub.“ Aber es gab auch andere Fälle. Ich habe auch Menschen dabeigehabt, die selbst psychische Erkrankungen haben. Und da habe ich dann festgestellt, Camping und Hitze in Sardinien, das ist nicht jedermanns Sache. Man muss da jemanden dabeihaben, der Hitze verträgt und der auch das Camping-Leben mag. Camping heißt auch, offen zu sein, auf Menschen zuzugehen, gemeinsam mal zu kochen. Und diese Grundhaltung muss man schon irgendwie haben. Ansonsten ist man da fehl am Platz. Ich versuche gerade, die Suche zu professionalisieren und habe das Thema Reiseassistenz ja auch in der oben erwähnten Kolumne verarbeitet.
Die Kernaussage ist, dass man als Mensch mit Behinderung etwas Positives für die Gesellschaft beitragen kann. Das ist das Wichtigste, dass man als Mensch mit Behinderung auch Erfolg im Leben haben kann und andere Menschen sollen auch daran teilhaben können. Umgekehrt gesehen, sind Menschen mit Behinderung ein Spiegel der Gesellschaft. Geht es diesen Menschen gut, geht’s der Gesellschaft gut. Geht’s diesen Menschen schlecht, geht’s der Gesellschaft nicht gut. Das ist etwas, das die Menschen sehen müssen. Dass Menschen mit Behinderungen ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft sind und dass wir uns auch für diese Menschen einsetzen müssen. Das finde ich sehr wichtig, das ganz große Thema Freiheit. Mir geht es gut, es gibt viele Menschen, die haben nicht diese Lebensqualität, die können nicht so selbstbestimmt leben. Ich denke da so an Pflegeheime, Altenheime. Das sind Menschen, die so gut wie nicht mehr rauskommen. Und da wünsche ich mir mehr soziale Projekte, dass junge Menschen mehr in Pflegeheime gehen für gemeinsame Ausflüge, Kaffeerunden, wir müssen uns da viel mehr vernetzen. Die demografische Entwicklung wird so sein, dass Menschen mit Behinderung primär die älteren Menschen sind. Daher wird diese Anzahl immer weiter steigen. Und wenn die gesunden Menschen dieses Bild vor Augen haben, dass ich morgen selbst auf dieser Seite des Lebens stehen kann, dann werden auch diese sich für die Interessen von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Dies wäre zumindest mein Wunsch.
Wir bedanken uns vielmals bei dir, lieber Ludwig, dass du deine Erfahrungen so offen und ehrlich mit uns teilst! Für deinen weiteren Weg wünschen wir dir von Herzen alles Gute!
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