Berufliche Neuorientierung oder berufliche Rehabilitation? – Ein Überblick über die Möglichkeiten
Ein schwerer Unfall oder eine längere Krankheit kommen meist unerwartet und führen oft dazu, dass auch der Beruf für eine ganze Weile nicht mehr ausgeführt werden kann. Je länger die Heilung in Anspruch nimmt, desto schwieriger wird meist auch der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben.
Der Wiedereinstieg in den Job nach einem Unfall oder einer Krankheit sollte bestmöglich geplant werden. (pixabay)
Vor allem eventuelle Folgeschäden der Erkrankung können das Wiederaufnehmen der Tätigkeit kompliziert gestalten. Um dabei Unterstützung zu erhalten und sich gegebenenfalls auch für ein neues Berufsfeld zu qualifizieren, gibt es viele Wege. Was sind die Möglichkeiten?
Der erste Schritt in einen neuen Beruf
Wenn ein Unfall oder eine Krankheit zu einem langen Arbeitsausfall geführt hat, herrscht nach der Genesung oft der Wunsch, endlich wieder zu seinem Job zurückkehren zu können. Oftmals gestaltet es sich jedoch schwierig die bisherige Tätigkeit – zumindest im gewohnten Ausmaß – wieder aufzunehmen. Vor allem nach einem Unfall oder nach einer schweren psychischen Erkrankung, wie Burnout oder Depressionen, kann dies nicht mehr möglich sein. Manchmal bedarf es gar einer kompletten beruflichen Neuorientierung, was viele vor große Herausforderungen stellt. Eine ausführliche Beratung kann daher ein sinnvoller erster Schritt auf dem Weg zurück ins Arbeitsleben sein.
Eine professionelle berufliche Wiedereingliederung, beispielsweise durch Berufsförderungswerke, ermöglicht es, sich einen allgemeinen Überblick zum Thema Wiedereinstieg zu verschaffen. Dabei können die Berater*innen auch individuelle Ratschläge geben und Möglichkeiten aufzeigen, die in der jeweiligen Situation in Frage kommen und sinnvoll sind. Verschiedene Anbieter bieten im Rahmen einer beruflichen Rehabilitation Kurse an, in denen ein*e geschulte*r Berater*in die besten Optionen heraussucht und erklärt.
In persönlich zugeschnittenen Coachings wird auf die Rückkehr in den Beruf vorbereitet und es können Schulungen zu berufsrelevanten Themen, Bewerbungen oder sogar zu Themen wie Selbstmanagement und Stressbewältigung besucht werden. Auch Umschulungen können dabei angeboten oder unterstützt werden. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Stärken und Fähigkeiten der Teilnehmer*innen gelegt. Wenn beispielsweise bisher als Stärken gegoltene Fähigkeiten aus gesundheitlichen Gründen nun nicht mehr zugänglich sind, können mithilfe einer erfahrenen Fachkraft andere Stärken herausgefiltert und ausgebaut werden.
Auch neue Kenntnisse oder ein alternatives Nutzen von Fähigkeiten können sich durch die Unterstützung angeeignet werden. Es ist möglich, Zertifikate der Qualifikation zu erhalten und auch mit gesundheitlicher Einschränkung einen hohen Wert auf dem Arbeitsmarkt beizubehalten. Da die dazugehörigen Kurse individuell auf die jeweilige Person und ihre derzeitige Situation ausgerichtet sind, finden sie meist als Einzelkurse statt und können in vielen Fällen von der Krankenkasse oder entsprechenden Instituten gefördert werden.
Kein Sprung ins kalte Wasser
Nach längerem Aussetzen vom Job kann einem das Arbeiten am Anfang deutlich härter als zuvor vorkommen. Vor allem wenn nach dem Unfall oder der Krankheit ein neuer, bislang nie ausgeführter Beruf aufgenommen werden muss, ist das mit viel Druck verbunden.
Neue Kolleg*innen, neue Abläufe und neue Programme und Systeme können schnell zur Überforderung führen. Die Arbeitsstunden ziehen sich in die Länge und schon vor der ersten Pause ist keine Energie mehr übrig. Aber auch im alten Job können solche Komplikationen nach einem sehr langen Ausfall auftreten. Im schlimmsten Fall kann es dadurch sogar zu einem weiteren Gesundheitsrisiko werden und zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit führen.
Um die Wiedereingliederung möglichst erfolgreich zu gestalten, gibt es gesetzlich festgelegte Modelle, die sich insbesondere auf ein langsames Zurückkommen in den Job konzentrieren.
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Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Seit 2004 sind alle Unternehmen dazu verpflichtet, allen Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis seit mindestens sechs Monaten besteht, im Falle einer längeren Erkrankung ein sogenanntes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Dies greift, sobald sich die Arbeitsunfähigkeit in einem Jahr auf über sechs Wochen beziehungsweise 42 Kalendertage summiert. Das Ziel der Maßnahme ist es, kranke Arbeitnehmer*innen wieder in die Arbeit einzugliedern, ihre Fehlzeiten zu reduzieren, einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten.
Die Initiative für das BEM sollte dabei vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin ausgehen. Dazu wird die betroffene Person zunächst zu einem Gespräch eingeladen. Hier sollen Fragen über den Gesundheitszustand, die Einsatzfähigkeit beziehungsweise die Belastbarkeit sowie mögliche Ursachen für die Erkrankung geklärt werden. Dabei können sowohl betriebliche Ursachen als auch persönliche Lebensumstände thematisiert werden. Ziel des Gesprächs ist es, gemeinsame Lösungen für Probleme zu finden. Zudem ist es für beide Seiten wichtig, dass das Gespräch in einem geschützten Rahmen stattfindet. Denn je offener das Gespräch und je größer das Vertrauen, desto erfolgreicher kann sich die Wiedereingliederung gestalten.
Ist die Art der Erkrankung beziehungsweise ihre Ursachen geklärt, können Maßnahmen eingeleitet werden, die den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin unterstützen. Hier kann es sich beispielsweise um die Bereitstellung technischer Hilfsmittel, Veränderungen des Arbeitsplatzes, der Anpassung der Arbeitszeit oder auch einen Tätigkeitswechsel handeln. Wichtig ist, dass auf die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Person eingegangen wird. Eine häufige Maßnahme in diesem Prozess ist das „Hamburger Modell“.
Das „Hamburger Modell“
Das sogenannte „Hamburger Modell“ bezeichnet den stufenweisen Wiedereinstieg in den Job. Ziel des Modells ist die Festlegung eines konkreten Wiedereingliederungsprozesses, durch das sukzessive Aufstocken der Arbeitszeit. So werden Mitarbeitende sanft in den Arbeitsalltag zurückgeholt. Jedoch ist dies – anders als das betriebliche Eingliederungsmanagement – eine freiwillige Maßnahme der Unternehmen.
Zu Beginn des Prozesses wird in einer ausführlichen medizinischen Untersuchung festgestellt, ob und wie stark die betroffene Person wieder belastbar ist und wie viele Arbeitsstunden pro Woche angemessen sind. Auch die Schwierigkeit der auszuführenden Tätigkeiten kann im Stufenplan bestimmt werden.
Die Länge der Maßnahme kann variieren, ist jedoch normalerweise auf einen Zeitraum von sechs Wochen bis sechs Monaten ausgelegt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, diesen auf bis zu zwölf Monate zu verlängern, sollte der Gesundheitszustand des oder der Mitarbeitenden dies erfordern. Auch kann die Wiedereingliederung bei gesundheitlichen Problemen für maximal sieben Tage unterbrochen werden. Bei längerer Fehlzeit gilt die Maßnahme jedoch als gescheitert.
Um zusätzlich ausreichend Flexibilität im Falle von Unwohlsein zu ermöglichen, wird das Gehalt währenddessen nicht von den Arbeitgeber*innen ausgezahlt. Die Entgeltfortzahlung übernimmt stattdessen die Krankenkasse in Form von Krankengeld. Dadurch entsteht gleichzeitig auch ein Schutz vor einer Kündigung, denn Arbeitgeber*innen erhalten eine kostenlose Arbeitskraft und verlieren kein Geld, wenn diese mal nicht zur Arbeit erscheinen kann oder früher nach Hause gehen muss.