Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer
Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer

Arbeiten mit Autismus: Antworten auf wichtige Fragen

Autist*innen sind so individuell, wie neurotypische Menschen. Dennoch können sie im Alltag und im Berufsleben viele Besonderheiten zeigen. Die Stiftung IPT unterstützt seit über 50 Jahren Menschen mit Behinderungen bei ihrem Weg (zurück) in die Arbeitswelt – so auch Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Wir haben die Beraterin und Psychologin Cindy Tornincasa gefragt, was es beim Arbeiten mit Autismus zu beachten gibt, welche Berufe und Aufgaben besonders geeignet sind und was neurotypische Menschen dazu beitragen können, damit sich Autist*innen am Arbeitsplatz wohlfühlen.

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem kleinen runden Tisch in der Cafeteria eines Unternehmens zusammen und machen sich beide Notizen. Er im Laptop und sie in ein Heft. | © pexels

Menschen mit ASS sind leistungsfähige Arbeitskräfte, wenn sie sich wohlfühlen. (pexels)

Welche Stärken haben Menschen aus dem Autismus-Spektrum im Vergleich zu neurotypischen Menschen?

Es ist wichtig festzuhalten, dass es im Autismus-Spektrum bestimmte Funktionsweisen gibt, die typisch sind, dass aber Autist*innen so individuell sind wie wir alle. Unter den Menschen aus dem Autismus-Spektrum gibt es genauso viele verschiedene Menschen mit ihrer eigenen Persönlichkeit, wie in der sogenannten „neurotypischen“ Bevölkerung. Die Stärken sind Unterscheidungsmerkmale, die jedoch bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt und vorhanden sind. Dazu zählen:

  • Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und der Wille, Fristen einzuhalten. Die meisten Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung kommen lieber zu früh als zu spät. Sie halten sich genau an klare Regeln und sind daher oft sehr fleißige Mitarbeiter*innen, die ihre Arbeit immer gut und pünktlich erledigen wollen.
  • Eine Wahrnehmungsweise der Welt und Ideen, die sich von anderen unterscheiden kann. Sie können sowohl handwerklich als auch intellektuell kreativ sein, indem sie alternative und originelle Lösungen anbieten, auf die andere Menschen nicht gekommen wären. Dies bringt große Vorteile für die Bereiche Technik, Wissenschaft, nachhaltige Entwicklung, Innovation, Kunst (Fotografie, Grafik, Illustration, Schreiben), Informatik, aber auch für die Entwicklung von strategischen Projekten, Standards oder Arbeitsstrukturen.
  • Ehrlichkeit, eine offene und direkte Kommunikation. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung haben oft keinen Filter in ihrer Ausdrucksweise, sodass das Gegenüber sicher sein kann, dass sie nicht lügen oder sich verstellen. Ihre Art bringt Vertrauen und Offenheit in die zwischenmenschlichen Beziehungen. Betroffene sind in der Regel auch nicht an Machtfragen interessiert, an Klatsch und Tratsch hinter dem Rücken von Kolleg*innen. Dies kann dazu führen, dass sie weniger Zeit in informellen Pausen verlieren und Wert darauflegen, die Arbeitszeiten einzuhalten.
  • Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung nehmen aufgrund ihrer Gehirnfunktion zuerst Details wahr und verarbeiten die Informationen dann in einem zweiten Schritt. Dadurch sind sie gründlich und können Dinge wahrnehmen, auf die neurotypische Menschen nicht achten würden. Dies kann für bestimmte Bereiche einen Vorteil bedeuten: Qualitätskontrolle, manuelle oder künstlerische Arbeiten, die eine genaue Fertigstellung eines Produkts erfordern, Computercodierung und vieles mehr. 
  • Menschen im Autismus-Spektrum entwickeln die Fähigkeit, sich intensiv zu bemühen, wenn sie ein Thema oder einen Tätigkeitsbereich besonders interessiert. Sie können dann über einen längeren Zeitraum hinweg sehr konzentriert arbeiten.

Welche Berufe oder Branchen eignen sich für Menschen aus dem Autismus-Spektrum?

Es gibt keinen typischen Beruf, der für Menschen aus dem Autismus-Spektrum geeignet ist. Allerdings gibt es Tätigkeiten oder Berufsfelder, die für ihre Funktionsweise weniger passend sind, so zum Beispiel:

  • Tätigkeiten, mit sehr vielen Veränderungen, die häufige Anpassungen erfordern (ein Verkäufer, der überzeugen muss, indem er sich an sehr unterschiedliche Menschen anpasst, oder eine Tätigkeit im IT-Helpdesk, bei der schnelle und effiziente Lösungen gefunden und gleichzeitig zwischenmenschliche Interaktionen mit teils unzufriedenen Kunden bewältigt werden müssen)
  • Ein Beruf, der unter Zeitdruck mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oder unerwarteten Aufgaben ausgeübt wird (Rettungssanitäter oder Arzt in der Notaufnahme)
  • Eine Tätigkeit, bei dem der Umgang mit Menschen ein wesentlicher Bestandteil darstellt und der kontinuierlich und ohne Pausen ausgeübt wird (z. B. eine Stelle an der Rezeption, an einem Schalter). 

Mehr noch als ein Sektor, spielt das Arbeitsumfeld eine zentrale Rolle. Wenn die Kolleg*innen, sich an die Arbeitsweise der Person aus dem Autismus-Spektrumanpassen, kann sie sich besser entfalten und einen Mehrwert für das Unternehmen erbringen.  

Sie sind Autist*in und suchen den passenden Job?

Auf myAbility.jobs finden Sie Arbeitgebende, die offen für Ihre Bedürfnisse sind.

Jetzt Job finden!

Folgende Berufe und Branchen können für Menschen aus dem Autismus-Spektrum besonders geeignet sein:

  • Informatik (Wartung von Arbeitsplätzen, Installation und Verwaltung von Computerparks, Webentwicklung, Erstellung und Verwaltung von Websites)
  • eine Stelle im Bereich der Verwaltung von internen Geschäftsprozessen
  • Erstellung eines Datenbanksystems, zum Beispiel als Data Analyst
  • Forschung und Statistik
  • Qualitätskontrolleur
  • kaufmännischer Angestellter
  • Bibliothekar, Informations- und Dokumentationsmitarbeiter, Archivar
  • Grafiker, Illustrator
  • handwerkliche Berufe (Tischler, Schreiner)
  • Ingenieurwesen, Feinmechanik
  • Journalismus, Redaktion

Was müssen Menschen mit Autismus am Arbeitsplatz beachten?

Um diese Frage beantworten zu können, ist es wichtig die Besonderheiten von Menschen im Autismus-Spektrum aufzugreifen, um mögliche Anpassungen am Arbeitsplatz vorzunehmen. 

Erstens ist ihre Informationsverarbeitung anders und führt zu einer Fähigkeit, Details vor dem Gesamtbild zu verarbeiten, und zu Schwierigkeiten, Informationen zu priorisieren und sie zeitlich einzuordnen. Daher müssen Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung darauf achten, dass sie klare, präzise und explizite Anweisungen erhalten und, wenn möglich, eine klar festgelegte Priorisierung, damit sie sich bei ihrer täglichen Arbeit bestmöglich organisieren können. Schriftliche Anweisungen oder visuelle Darstellungen erleichtern den meisten von ihnen die Verarbeitung und Speicherung von Informationen. 

Zweitens haben sie eine besondere sensorische und motorische Verarbeitung, die entweder zu einer Über- oder Unterempfindlichkeit in Bezug auf die fünf Sinne (Hören, Fühlen, Sehen, Riechen, Schmecken) führt. Sie müssen daher darauf achten, dass das gewählte Arbeitsumfeld entsprechend angepasst ist. Für eine Person, die überempfindlich auf Lärm reagiert, ist beispielsweise ein Großraumbüro ungeeignet oder sie sollte dann Lärm reduzierende Kopfhörer oder Ohrstöpsel tragen dürfen. Außerdem sollten sie dies auch beim Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz berücksichtigen.

Drittens sind soziale Verhaltensweisen bei Menschen im Autismus-Spektrum nicht „angeboren“, sondern müssen erlernt werden, was zwangsläufig mehr Zeit und auch mehr Energie kostet. Für die meisten Menschen aus dem Autismus-Spektrum ist der informelle Austausch mit Kolleg*innen während der Pausen nicht erholsam. Für andere ist dies weniger herausfordernd, aber bestimmte soziale oder komplexere Situationen können zu Stress oder Missverständnissen führen. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung müssen sich dessen bewusst sein und in der Lage sein, ein Gleichgewicht zwischen Zeiten, in denen sie allein sind, und Zeiten, in denen sie mit anderen Menschen zusammen sind, zu finden und zu dosieren.

Schließlich kann es sein, dass manche Personen aufgrund ihrer spezifischen und/oder eingeschränkten Interessen überfordert sind und sich nicht voll auf die gestellte Aufgabe konzentrieren können. Es ist wichtig, dass sich Personen mit Autismus-Spektrum-Störung Zeit für ihre Leidenschaft nehmen, ohne dass diese ihr berufliches und/oder soziales Leben beeinträchtigt.

Welche Besonderheiten gibt es bei der Zusammenarbeit mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum?

Die erste Besonderheit hinsichtlich der Zusammenarbeit betrifft die Kommunikation. Die Art und Weise, wie Menschen aus dem Autismus-Spektrum interagieren, kommunizieren und ihre Gefühle zeigen, ist bei den Betroffenen meist anders und/oder schwer wahrnehmbar. Dies können auch die Gesprächsthemen oder Interessen betreffen, die unerwartet, originell oder sehr spezifisch sein können.

Zweitens, funktioniert die Aufnahme, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen anders und führt dazu, dass die Art und Weise, wie man in Beziehung tritt oder Informationen vermittelt werden angepasst werden müssen. Schriftliche, visuelle und auditive Hilfsmittel, detailliertere Verfahren und ganzheitliche Schemata können das Verständnis unterstützen und sind darüber hinaus auch für andere neurotypische Mitarbeiter sehr hilfreich.

Eine weitere Besonderheit ist die Ehrlichkeit und/oder Direktheit im Austausch mit einer Person aus dem Autismus-Spektrum. Dies kann erstaunlich sein und vom „erwarteten“ und normierten Rahmen unserer Gesellschaft und den zwischenmenschlichen Beziehungen abweichen. Es ist jedoch keinesfalls eine Absicht der Person, zu kränken, zu schockieren oder zu verletzen, sondern ist eine Konsequenz der spezifischen neurologischen Vorgänge im Gehirn.

Eine weitere Besonderheit bei der Zusammenarbeit mit einer Person aus dem Autismus-Spektrum ist, dass das Arbeitsverhältnis oder die Arbeitsweise anders als erwartet betrachtet wird. Beispielsweise könnte eine Person aus dem Autismus-Spektrum außerhalb der Standardarbeitszeiten sehr produktiv sein (spät am Tag und am Abend, sehr früh am Morgen, eher Telearbeit als Präsenzarbeit). Es erfordert also Offenheit, eine Arbeitsweise in Betracht zu ziehen, die nicht den Normen entspricht und das Vertrauen von beiden Seiten braucht, um gut zu funktionieren. Natürlich ist dies nur möglich, wenn es der Art und der Realität des Arbeitsplatzes entspricht.

Wie können Führungskräfte und Teammitglieder dazu beitragen, dass sich Menschen mit Autismus wohlfühlen?

Erstens, indem sie offen dafür sind, der Person in ihrer Gesamtheit zu begegnen, und eine Haltung des Zuhörens und Teilens statt des Beurteilens einnehmen. Wenn die Person mit Autismus-Spektrum-Störung sich akzeptiert fühlt und offen erklären kann, wie sie funktioniert und welche Anpassungen an ihrem Arbeitsplatz hilfreich sind, wird dies nur von Vorteil sein, damit sie sich gut entwickelt, produktiv ist und ihre Fähigkeiten voll entfalten kann.

Hinsichtlich der technischen, ergonomischen Aspekte ist es wichtig, der Person einen sensoriell ruhigen Arbeitsbereich zu bieten. Das heißt, dass die fünf Sinne nicht zu sehr stimuliert werden dürfen, damit sich die Person im Autismus-Spektrum konzentrieren kann. Zum Beispiel sollte der Arbeitsplatz eher ruhig sein und sich nicht in einem Durchgangsbereich mit viel Lärm oder Bewegung befinden. Es sollte möglich sein, Kopfhörer zu tragen oder auch im Home-Office zu arbeiten.

In Bezug auf die Interaktion sind präzise und konkrete Anweisungen wichtig, wobei visuelle, schriftliche oder andere Hilfsmittel, die mündliche und nonverbale Kommunikation unterstützen können. Vermeiden Sie Wortspiele, Doppeldeutigkeiten, bildhafte Sätze oder Sprichwörter. Versuchen Sie, in einer einfachen und bodenständigen Sprache zu bleiben. Geben Sie nicht mehrere Informationen gleichzeitig, sondern versuchen Sie die Angaben klar zu strukturieren. Bei Unsicherheiten über das Verständnis lohnt es sich, die Person zu bitten, die Information in ihren eigenen Worten zu wiederholen, um sicherzustellen, dass die Kommunikation auf die richtige Weise stattgefunden hat.

Versuchen Sie Veränderungen und neue Aufgaben zu antizipieren und eine gewisse Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Wenn dies nicht möglich ist und etwas Unerwartetes passiert, respektive eine Aufgabe mit hoher Priorität auftaucht, benennen Sie die Priorität klar und gehen Sie die neue Priorisierung mit der Person aus dem Autismus-Spektrum durch.

Zwingen Sie eine Person im Autismus-Spektrum nicht, an allen informellen oder „gesellschaftlichen“ Anlässen teilzunehmen, seien es Kaffee- oder Mittagspausen, Abschlussessen, Betriebsausflügen, Firmenjubiläen und so weiter. Lassen Sie der Person die Wahl über eine Teilnahme, je nach ihrem emotionalen Zustand, ihrer Müdigkeit und ihrer Fähigkeit, einen sozialen Austausch überhaupt zu führen. Dies ermöglicht eine gute Dosierung von sozialen Interaktionen zum richtigen Zeitpunkt und erlaubt eine positive Erfahrung mit Lust auf eine Wiederholung anstelle einer steigenden Abneigung. Um Missverständnisse und Neid im Team zu vermeiden kann es hilfreich sein, als Vorgesetzte*r klarzustellen, dass es sich nicht um einen Gefallen für den Mitarbeitenden handelt, sondern die Spezialregelung gesundheitliche Gründe hat. 

Bei minderjährigen Personen lohnt es sich, mit deren Einverständnis den Kontakt mit den Eltern zu suchen, um bei der Anpassung des Arbeitsumfelds zusammenzuarbeiten. Wenn die Person von einer Ausbildungs- oder Arbeitsintegrationsorganisation unterstützt wird, zögern Sie nicht, die Unterstützung einer dritten Person in Anspruch zu nehmen, die eine externe Sichtweise mitbringt und bei der Umsetzung von angepassten Anpassungen helfen kann.

Welche Herausforderungen können am Arbeitsplatz auftreten?

Trotz der getroffenen Vorkehrungen können Herausforderungen auftreten, da sich die geistige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Menschen mit Autismus-Spektrum laufend entwickeln muss. Dazu zählen Missverständnisse in der Kommunikation, langsame Ausführung von Aufgaben oder eine Erschöpfung als Folge einer Überinvestition. 

Eine neue soziale Situation, Tätigkeit oder Aufgabe im Privat- oder Berufsleben erfordert vom Menschen im Autismus-Spektrum, dass er sie entschlüsselt, versteht und lernt, um den Anforderungen gerecht zu werden. Dies erfordert oft mehr Energie als dies bei den meisten neurotypischen Menschen der Fall ist.

Herausforderungen bestehen ebenfalls für den Arbeitgeber. Die Zusammenarbeit erfordert eine Offenheit für eine Infragestellung auf Managementebene, und eine Anpassung an eine Person, die anders funktioniert. Dies führt allenfalls zur Notwendigkeit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der internen Verfahren und Prozesse. Zudem muss auf die Integration der Person im Team geachtet und dafür gesorgt werden, dass sich die Person im Autismus-Spektrum an die Umgebung anpassen kann, um produktiv zu sein und ihren Mehrwert als Team-Mitglied zu erbringen.

Als Autist*in auf Jobsuche?

Entdecken Sie auf myAbility.jobs Arbeitgeber, die Ihre individuellen Bedürfnisse respektieren.

 

Jetzt Job finden!

Wie können autistische Menschen Teams und Unternehmen bereichern?

Alles, was oben erläutert wurde, spricht für sich: Menschen aus dem Autismus-Spektrum bringen Authentizität in zwischenmenschliche Beziehungen, Ehrlichkeit und Offenheit. Sie ermöglichen es, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, neue, kreative und alternative Lösungen zu finden, aber auch etablierte Prozesse zu hinterfragen, um sie weiterzuentwickeln. Sie bereichern Teams und das ganze soziale und berufliche System. Vorausgesetzt, Kolleg*innen und Arbeitgeber*innen, geben ihnen die gleichen Startchancen, um zu überzeugen und so akzeptiert zu werden, wie sie sind.

Dieser Artikel wurde von Cindy Tornincasa, Beraterin und Psychologin bei der Stiftung IPT, verfasst. IPT setzt sich seit über 50 Jahren für die Förderung der beruflichen (Wieder-)Eingliederung ein.


Ist dieser Artikel lesenswert?

Fehler melden? Jetzt Melden.

Haben Sie eine Frage an die Community?