Diagnose Männerdepression: Symptome beim Mann sind anders
Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung sind in ihrem Leben von einer Depression betroffen. Bei Frauen wird eine Depression etwa doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Männern. Die Statistik wird der Realität aber nicht gerecht.
Die Depressionsrate bei Männern ist lange Zeit unterschätzt worden. (unsplash)
Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, dass die Depressionsrate von Männern unterschätzt wird. Denn, obwohl eine Depression bei Männern nur halb so häufig wie bei Frauen diagnostiziert wird, ist die Suizidrate bei Männern mindestens dreimal höher als bei Frauen. Die Vorstellung, dass eine Depression als psychische Störung vor allem Frauen betrifft, ist mehr ein gesellschaftliches Stereotyp und hat mit der Realität wenig zu tun.
Auch heute noch wird Kindern vielerorts vorgelebt, dass Männer nicht weinen und ihre Gefühle nicht zeigen dürfen. Die Rolle des Mannes, des Beschützers, des Ernährers, der Beruf, Familie und Freizeit im Griff hat, wird vielfach kultiviert.
Alte Rollenbilder verschwinden
Dabei ist es gerade oftmals der Wandel des männlichen Rollenbilds, der Männer in die Depression führt. Alte Werte, die den Mann als Beschützer und Alleinversorger einer Familie sehen, verschwinden zunehmend. Der Druck, diese Erwartungen nicht mehr erfüllen zu können, führt bei Männern vermehrt zu Depressionen. Dies haben Forscher der Emory Universität in den USA herausgefunden. Das bröckelnde Patriarchat lässt Männer in die Depression und in Ehekrisen schlittern. Auf der anderen Seite führt auch der Druck, genau diese Erwartungen erfüllen zu müssen, zu Depressionen. Geldprobleme, Angst um den Job, eine perspektivenlose Arbeit, unerfüllte Sehnsüchte, Probleme in der Familie und Einsamkeit können ebenfalls Ursachen für Depressionen bei Männern sein.
Für die wesentlich geringere Anzahl diagnostizierter Depressionsfälle bei Männern ist auch das geschlechtsspezifische Krankheitsverhalten verantwortlich. Frauen sind besser über das Thema informiert und auch offener im Gespräch mit Dritten. Männer suchen generell seltener als Frauen einen Arzt auf. Bei psychischen Leiden zeigt sich das noch ausgeprägter als bei physischen. Stattdessen neigen Männer dazu, Probleme zu verbergen und zu maskieren.
Wie wenig Männer bereit sind, sich dem Thema zu stellen, zeigt eine Umfrage der Schweizer Selo-Stiftung. Nur jeder dritte Mann würde mit anderen über seine Depression sprechen – bei Frauen ist es jede Zweite. Männer glauben viel häufiger, dass Depression ein gesellschaftliches Tabu ist. Jeder Zwölfte würde sie sogar gänzlich verschweigen, was doppelt so häufig ist wie bei Frauen. Außerdem sind Männer auch weniger gut über die Krankheit informiert.
Aggressivität und Flucht in den Alkohol
Während sich bei Frauen eine Depression üblicherweise durch Schwermut, Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit zeigt, weisen Männer oft ein anderes Krankheitsverhalten und andere Bewältigungsversuche auf. Häufig spüren depressive Männer zwar einen inneren Druck und vielleicht ein andauerndes Gefühl von Überbelastung und Erschöpfung. Krank im eigentlichen Sinne fühlen sie sich aber nicht. Bewusst oder unbewusst bauen sie die Spannung ab: Die Stresstoleranz sinkt, sie sind gereizt, reagieren aufbrausend und verlieren die Beherrschung. Aggressivität und oft auch Gewalttätigkeit, die für ihre Persönlichkeit uncharakteristisch ist, können auftreten.
Die nicht diagnostizierte Depression wird durch verstärkten Konsum von Alkohol oder Nikotin kompensiert, oft auch durch exzessive sportliche Tätigkeiten oder blinden Aktivismus.
Weitere Symptome
Dies sind die erkennbaren Symptome einer möglichen Männerdepression. Sie werden in unserem Verständnis aber in der Regel nicht mit einer Depression in Zusammenhang gebracht, sondern eher mit einer Persönlichkeitsstörung oder Neurose.
Dabei sind die klassischen Depressions-Symptome, wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Erschöpfung und Schlaflosigkeit im Hintergrund oft bereits vorhanden. Nach wie vor bleiben viele Erkrankungen lange Zeit unerkannt, weil Männer – wenn überhaupt – häufig erst dann einen Arzt konsultieren, wenn die klassischen Symptome auftreten.
Fragen und Antworten aus der EnableMe Community:
Die Gotland-Studie
Die Wissenschaft bemüht sich schon lange, das geschlechtsspezifische Bild von depressiven Verstimmungen aufzuzeigen. Als erster wissenschaftlicher Beweis einer geschlechtsspezifischen Zweigestaltigkeit bei depressiven Störungen gelten die Resultate eines Suizid-Verhütungsprogrammes, das in den 1980er Jahren auf Gotland durchgeführt wurde.
Die schwedische Insel wies damals eine der höchsten Suizidraten Schwedens auf. Eine systematische Schulung der Ärzte konnte die Suizidrate um zwei Drittel senken. Die Suizidzahlen nahmen bei Frauen zwar um 90 Prozent ab, jene der Männer blieb jedoch unverändert. Der Grund: Männliche Depressive wurden von diesem Selbstmord-Verhütungsprogramm aufgrund ihrer spezifischen Symptome nur am Rande erfasst.
Nur dann, wenn sehr spezifische Strategien angewandt wurden, um Depressionen beim Mann zu erkennen und zu behandeln, konnte auch hier eine Reduktion der Selbstmordrate erreicht werden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Beobachtungen weiß man heute, dass Männer nicht immer in das typische Beschwerdebild einer Depression passen.
Schwierige Diagnose
Die Diagnose einer Depression beim Mann ist entsprechend schwierig zu stellen. Nur Ärzte, die die Symptome genau kennen, können auch richtig vorgehen. Die Behandlung von Depressionen verschiedenster Ausprägung ist sehr wichtig, denn bei rechtzeitiger Behandlung gelten inzwischen 80% als heilbar. Zunächst müssen Fachärzt*innen die Ursachen und den Schweregrad der Depression feststellen und das mögliche Suizid-Risiko bestimmen.
Als anschließende Behandlungsmethoden stehen Medikamente und/oder eine Psychotherapie im Mittelpunkt. Bedingung für alle Maßnahmen: Männer müssen sich einem Arzt anvertrauen, wenn sie hinter ihrer schlechten Stimmung eine Depression vermuten.